Elbe – Radweg Teil 2 Die Radler der Hobbies unterwegs an der Elbe durch sechs Bundesländer

Es gibt Länder, wo richtig was los ist,

es gibt Länder, wo richtig was los ist,

und es gibt – Brandenburg,

In Brandenburg ist wieder jemand gegen ‘n Baum gegurkt,

was soll man auch machen, mit 17, 18 in Brandenburg

Es ist nicht Chanel, es ist meistens Schlecker,

kein Wunder, dass so viele von hier weggehen, Brandenburg

In Berlin bin ich einer von drei Millionen,

in Brandenburg kann ich bald alleine wohnen, Brandenburg …

 

Es ist schon ziemlich böse, was Rainald Grebe da so alles über das Bundesland Brandenburg von sich gibt. Aber es steckt nun mal viel Wahrheit drin, und die Brandenburger selbst nehmen’s mit Humor. Denn schließlich haben wir den Tipp mit dem Brandenburg-Lied ja von einer Einheimischen bekommen. Und nachdem der Text verinnerlicht war, grölten fortan acht Radler das Brandenburg-Lied in die einsame Elbe-Flusslandschaft und amüsierten sich köstlich.

 

Begonnen hat alles aber nicht in Brandenburg, sondern im niedersächsischen Cuxhaven, direkt an der Elbe-Mündung.  Der Chronist schloss sich der Gruppe terminbedingt erst mit dreitägiger Verspätung zusammen  mit Georg Bambach in Hamburg an. Da hatten Manfred Kissel, Jürgen Kunze, Jochen Münz, Heiko Feser, Heinz Kissel und Willi Bamberg schon einiges erlebt. Vor allem einige Wetterkapriolen, die man als Radfahrer nicht wirklich braucht. Ab Hamburg aber wurde das Wetter mit jedem Tag besser und war insgesamt richtig gut.

 

Der Samstag war radfrei und ganz der Stadterkundung gewidmet. Hafenrundfahrt, Michel, Landungsbrücken, alles was man in Hamburg halt so macht und immer wieder machen kann. Abends gab’s dann Fisch oder leckeres Vorverdautes. Letzteres nennt der Hamburger „Labskaus“ und stellt sogar ein Diplom aus für die Überlebenden.

 

Sonntag pünktlich um neun Uhr dann (erneuter) Aufbruch an die Elbe. An zwei Rädern waren Verluste von diversem Zubehör zu verzeichnen, das anderen Gästen des Ibis-Hotels offensichtlich ebenfalls zusagte. Ärgerlich, aber nicht zu ändern und keinesfalls geeignet, die gute Stimmung zu beeinflussen. Sonntagfrüh bei Sonnenschein  durch eine fast menschenleere Großstadt zu radeln, das hat schon was.  Wenn auch die Orientierung nicht ganz einfach war und die Elbe sich regelrecht versteckt hatte, so hatten wir den richtigen Radweg doch schon bald gefunden und kamen zügig aus der Stadt und an unseren Fluss.

 

Die wohlverdiente Mittagspause machten wir in Krümmel, bekannt durch das dort gelegene Kernkraftwerk, das sich zurzeit aber im sog. Stillstandsbetrieb befindet. In einer schönen Gaststätte mit Außenterrasse gab’s den „Krümmel-Lümmel“, eine einheimische Bratwurstspezialität, die schon aufgrund seines Namens zahlreiche Abnehmer fand. Die Stärkung war wichtig, denn nun galt es, eine der wenigen Steilstrecken zu meistern.  Das „Hohe Elbufer“ war wirklich hoch, ging mitten durch den Wald und stellte die Trekking-Räder mit vollem Gepäck und deren Fahrer auf eine echte Bewährungsprobe. Da war es nur zu logisch, dass wir uns anschließend in Lauenburg eine ordentliche Tasse Kaffe mit Kuchen und Blick auf die Elbe verdient hatten. Die Abfahrt eines historischen Dampfschiffes wollten wir noch mitkriegen, dann ging’s schon wieder weiter in Richtung Mecklenburg-Vorpommern und damit zur ehemaligen innerdeutschen Grenze. Von den Grenzanlagen sieht man nur wenig, aber das, was man noch stehen ließ, auch im weiteren Verlauf der Reise, machte alle nachdenklich.

 

Nicht weit hinter der Grenze war das Etappenziel Boizendorf erreicht. Wer noch nie etwas von Boizendorf gehört hat, dem sei verraten, das macht nichts. Wichtig war für uns, dass wir eine ordentliche Unterkunft hatten und gut zu essen. Denn Radfahren macht hungrig – und durstig. In einem kleinen Lokal nicht weit vom Hotel wurde unserer Not abgeholfen. Eine resolute Wirtin stellte die Tische zusammen („Lassen Sie nur. Das mache ich lieber selbst…“) und überraschte uns mit einer recht umfangreichen Speisekarte und leckerer Hausmannskost.

 

Nächsten Morgen wieder pünktlicher Start, das sind wir ja gewohnt. Die Deichlandschaft sehr schön, aber ohne landschaftliche Höhepunkte. Bei diesen äußeren Bedingungen spielt die Windrichtung schon eine entscheidende Rolle zur Ermittlung des Spaßfaktors. Leider kam der Wind von vorne, was überhaupt nicht der gängigen Lehre entsprach (Elberadtour immer von der Mündung zur Quelle!) und unserem Organisator Manfred ein freundliches Lächeln ins Gesicht zauberte. Manche meinten sogar, eine gewisse Häme erkannt zu haben, denn schließlich war die Richtung so ja ursprünglich nicht geplant gewesen…

 

Bei soviel Anstrengung hilft nur eine entsprechende Energiezufuhr. Da kam eine Pause mit Fischbrötchen, serviert von einem norddeutschen Original mit furztrockenem Humor, gerade recht.

 

Ein Fischbrötchen hält natürlich nicht ewig, besonders bei strammer Deichfahrt. Die nächste Einkehr bedarf nun einer besonderen Erwähnung. Es sind die Erlebnisse, die eine Tour wie diese so reizvoll machen und die niemals planbar sind.

 

Direkt am Radweg wurde mit frischem Kuchen und diversen kleinen Gerichten geworben. Vor einem kleinen Haus standen ein paar Tische mit Sonnenschirm und luden zum Verweilen ein. Während wir unsere Fahrt nachdenklich verzögerten, rief uns die Besitzerin schon zu sich und pries ihren frisch gebackenen Kuchen in den höchsten Jubeltönen. Hier wird gute alte Selbstvermarktung betrieben, dachten wir, und entschlossen uns zum Bleiben. Das Haus stellte sich wenig später als ein Privathaus heraus, das nicht betreten werden durfte, die Toilette lag im Garten dahinter. Die Besitzerin war freundlich und sichtlich bemüht, ihre Gäste zufrieden zu stellen, aber mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Die Aufnahme der Speisen und Getränke dauerte entsprechend lange und führte dann später noch zu mehreren Nachfragen. Der Linseneintopf kam aus der Dose, der Kartoffelsalat aus dem Eimer. Der Kuchen war ganz okay, wenn er doch nur früher gekommen wäre.  Jede Nachbestellung führte zur ernsthafter Besorgnis über die gesundheitliche Beanspruchung der Bedienung („Sie sehen doch, dass ich Stress habe!“ ) und zu der Feststellung, dass es hier mit der Hygiene nicht allzu genau genommen wird („Sie haben sich Ihre Gläser doch gemerkt, oder?“). Der Brüller war jedoch die Rechnungsbegleichung, ein Vorgang, der wie immer getrennt ausgeführt werden musste. Georg hatte kein Kleingeld und entschuldigte sich, dass er es „nur“ passend habe, ohne Trinkgeld. „Sie können sich ja etwas leihen“, war die wenig charmante Antwort. Jochen konnte nur mit einem großen Schein bezahlen und wurde gefragt, auf welchen Betrag sie denn herausgeben solle. „Auf 50 Euro“, antwortete er perplex. „Ich meine, was geben Sie an Trinkgeld?“, bekam er zur Antwort.

 

„Hier ist alles etwas marode, aber ich meine das positiv“, stellte ein Gast gegenüber Heiko schon gleich zu Anfang fest. In der Gewissheit, dass dieser allein reisende Herr mit E-Bike, Typ pensionierter Gymnasiallehrer, besser in das beschriebene Ambiente passt, machten wir uns schleunigst aus dem Staub und ließen das eben Erlebte noch mehrmals Revue passieren.  Unglaublich, aber bühnenreif.

 

Weiter ging’s am Fluss auf vorwiegend gepflegten Radwegen, eine Feststellung, die fast auf die gesamte Tour zutraf. Die ersten Störche wurden gesichtet und eifrig fotografiert, noch nicht ahnend, dass Störche hier so häufig sind wie bei uns die Amseln. Gegen 18.00 Uhr trafen wir in Lenzen ein und bezogen die Zimmer. Die angeschlossene Gaststätte war geschlossen, und so mussten wir unser Abendessen am nahe gelegenen Rudower See einnehmen. Ein Weg, der sich gelohnt hatte, schon wegen des herrlichen Sonnenuntergangs. Der Absacker sollte dann noch im Hotel erfolgen, aber da waren die Türen zu den Gasträumen schon geschlossen und wir gingen früh zu Bett.

 

Mit frischer Kraft ging’s am nächsten Tag weiter Richtung Süden, immer am Fluss entlang. Manchmal allerdings auch auf einsamen Kreisstraßen durch den Wald, vorbei an plötzlich auftauchenden Bratwurstständen. Kurze Rast, Bratwurst, Limo, Gespräch mit dem Kleinunternehmer über die Härte des Lebens, die Vorzüge der Gegend und die Zukunft des Landes, und weiter bis Wittenberge. Heiko hatte Lust auf Zuckerstückchen, und da alle Teilnehmer glücklich sein sollten, war uns dieser Wunsch natürlich Befehl. Zunächst stellte sich bei uns allerdings die Vermutung ein, dass es in Wittenberge gar kein Zuckerstückchenfachgeschäft gibt, was sich jedoch als Irrtum herausstellte. Auf einer Hauptgeschäftsstraße mit typischen DDR-Flair gab es tatsächlich so etwas wie einen Bäcker.  Dann aber schnell weg hier und lieber wieder zurück an die nahezu unberührte Natur der Elbauen mit ihren Wäldern, Seen und endlosen Wiesen.

 

An der Havel-Mündung dann Wechsel des Flusses, aber nur, um nach Havelberg zu gelangen, ein hübsches Städtchen mit imposantem Dom, den wir aber erst am nächsten Morgen näher inspizierten. Unser Hotel lag direkt am Jachthafen und war entsprechend gut besucht.

 

Havelberg ist Hansestadt, genauso wie das Städtchen Werben, an dem wir am nächsten Morgen vorbei kamen. Letzteres darf sich sogar „kleinste Hansestadt“ nennen.  Ein mit viel Liebe zum Detail renoviertes Städtchen mit viel Fachwerk und alter Stadtkirche. Bedrückend nur, wie wenig Leben in diesem städtebaulichen Kleinod herrschte. Wir hatten den Eindruck, die einzigen Gäste zu sein, seit langem und für lange. Aber vielleicht täuscht das ja auch…

 

Heiko hatte schon wieder Lust auf „Zuckerschneckchen“, und so hielten wir an einer unscheinbaren kleinen Bäckerei mit idyllischem Garten. Den Pott Kaffee samt Plunderstückchen gab’s dort für 1,80 €. Unschlagbar!

 

Die nächste Pause an einer kleinen Marina nutzte Georg zu einem Bad in der Elbe. Sein kurzer Kommentar: erfrischend, aber dreckig.

 

Schon am frühen Nachmittag trafen wir in Tangermünde ein. Die Tourenplanung ließ keine längere Etappe zu. Eigentlich ein glücklicher Zufall, denn Tangermünde stellte sich als das am schönsten renovierte und gepflegteste mittelalterliche Städtchen heraus. Manche nutzten den DDR-Nostalgieladen, um typische Ostprodukte als Mitbringsel für die lieben Zurückgebliebenen zu erwerben. Allerdings galt auch hier gegen 21 Uhr: „nix mehr los auf der Gass“. Vielleicht, weil wir im Lande der Frühaufsteher waren, wie die Autobahnschilder in Sachsen-Anhalt glauben machen wollen?

 

Start am nächsten Morgen schon um 8.30 Uhr, wir hatten noch eine lange Etappe bis zum Bahnhof Magdeburg vor uns, und man weiß ja nie, ob was dazwischenkommt. Nun, es kam nichts mehr dazwischen, im Gegenteil, der Wind war uns gnädig und schob uns in schneller Fahrt voran. Die Landschaft kannten wir nun schon, und die Rasen mähenden Menschen vor den Häusern auch, wenn auch nicht jeden Einzelnen. Überhaupt: Selten so viele Rasenmäher im Einsatz gesehen wie an der Elbe. Offensichtlich eine Lieblingsbeschäftigung der hiesigen Landbevölkerung, die auf ein zwanghaftes Verhältnis zur Rasenpflege, ausgelöst möglicherweise durch posttraumatische Rasenmäherverlustsyndrome zu DDR-Zeiten, schließen lassen. Auf ein vertieftes Eingehen in diese Problematik muss an dieser Stelle jedoch aus Zeit- und Platznot verzichtet werden.

 

Kurze Rast noch am Wasserstraßenkreuz Magdeburg (Elbe – Mittellandkanal). Eine gigantische Anlage, die allerdings etwas überdimensioniert scheint. Das alte Problem. Die Infrastruktur ist da, aber keiner mehr, der sie benutzt. Weiterfahrt durch überwiegend landwirtschaftlich genutzte Bereiche. Man roch es. Deutlich!

 

Der Zug in Magdeburg war pünktlich, der in Hannover auch. Dass der gebuchte Wagon wegen defekter Klimaanlage geschlossen werden musste ,wollen wir der Bahn mal nachsehen, zumal das Bord-Bistro von jeglichen Defekten verschont war. Hier blieb dann noch genug Zeit, das Erlebte in Erinnerung zu rufen und einmütig festzustellen: „Schön war’s wieder! Wo geht’s das nächste Mal hin, Manfred?“

 

Hans-Dieter Klingberg